Page 15 - Zeitschrift der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg
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Was bedeutet „Tschüss-Stimmen“ und was ist eine „traurige Note“?
Erfahrungen aus dem Musikunterricht in der Erstaufnahme Schmiedekoppel
Einige Kinder und Jugendliche, die in der Erstauf- nahme Schmiedekoppel wohnen, sind neu in Deutschland angekommen, andere leben even- tuell schon eineinhalb Jahre in Deutschland bzw. in diesem Camp. Gemeinsam für alle ist die Er- fahrung der Flucht und das Ankommen in einem neuen Land und ganz aktuell ein Leben auf engs- tem Raum in einem Umfeld mit unterschiedlichs- ten Sprachen.
Wenn ich zur Schmiedekoppel fahre, überlege ich oft, was die Kinder und Jugendlichen jetzt brau- chen. Mein Jahr in der Schmiedekoppel hat mir vieles gezeigt, ich versuche einmal, einige meiner Eindrücke in Worte zu fassen. Die Kinder und Jugendlichen möchten lernen und Spaß haben. Bevor sie die für sie neue deutsche Sprache gut gelernt haben, sind weitere Möglichkeiten, ihre Gefühle ausdrücken zu können, besonders wich- tig. Gleichzeitig brauchen sie Unterstützung und ein Gefühl von Sicherheit, damit sie wieder Boden unter den Füßen spüren können. Existentiell ist der Wunsch, eine Zukunft zu haben, auch wenn noch nicht klar ist, wo der Weg hinführt. Die Mög- lichkeit ein Instrument zu lernen gibt Mut für die Zukunft und ist unabhängig von den Grenzen unserer Länder. Das spüren die Kinder und Ju- gendlichen sehr schnell und sie sind dankbar für das Angebot.
Die Wege der Kinder und Jugendlichen im Musik- unterricht in der Schmiedekoppel sehen sehr un- terschiedlich aus. Hier ein paar Beispiele. (Die Namen der Kinder und Jugendlichen sind geän- dert.)
s Die 8-jährige Marian kam vor den Ferien zu mir, saß am Keyboard und wählte von den über 7 Oktaven die zwei Töne F und G in mittlerer Lage aus und spielte beide Töne über eine halbe Stun- de lang. Ich ließ sie erstmal alleine probieren und
staunte über ihr Durchhaltevermögen. Es schien mir, als bräuchte sie Zeit, Sicherheit zu gewinnen, zu hören und ein dritter Ton wäre einfach zu viel gewesen. Mit der Zeit erfanden wir noch eine Geschichte zu den beiden Tönen. Bis zum Ende ihrer Spiel-Einheit hat sie keine weitere Taste angeschlagen, das hat mich beeindruckt.
 © Bo Lahola
s Arian ist jetzt 16 Jahre alt. Als er 14 Jahre alt war, hat sich die Familie aus dem Iran auf den Weg gemacht. Mit der (Reise-)Zeit wuchs der Heiß- hunger, wieder lernen zu können. Vor einem Jahr begegneten wir uns, er bekam eine Geige und wöchentlichen Unterricht. Von Anfang an hatte er klare Ziele, was er lernen möchte. Vor einem Jahr habe ich mich noch bemüht, einfaches und leicht verständliches Deutsch zu sprechen. In- zwischen spreche ich normal. Manchmal erkläre ich ihm einige Wörter, die ich benutze, denn er würde mir nicht sagen, wenn er etwas nicht ver- standen hat. Wenn ich ihm zuschaue, wie er sei- ne Stücke auswählt, merke ich, mit welcher Kraft er seine Gefühle ausdrücken möchte. Arian möch- te keine Noten mit nach Hause nehmen.
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