Page 13 - Zeitschrift der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg
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 Die Staatliche Jugendmusikschule Hamburg er- gänzt ihren kulturellen Bildungsauftrag als öf- fentliche Musikschule mit dem fakultativen An- gebot der Musiktherapie im Sinne von Prävention und Chancengleichheit. Der musiktherapeutische Blick, gemeinsam mit dem Blick beziehungssen- sibler Pädagogik ermöglicht auch einen differen- zierteren Umgang mit dem Leistungsbegriff. Vom Wortsinn her geht der Begriff „etwas leisten“ auf das mittel- und althochdeutsche Wort „Leisten“ zurück und bedeutet „einer Spur nachgehen“ (Mensch & Steffan, 2017). Es ist eine wesentliche Aufgabe unserer Zeit, den Leistungsbegriff ge- sellschaftlich zur Diskussion zur stellen, in unse- rem Fall heißt das, die kritische Selbstreflexion im Kollegium und auf der Leitungsebene voran- zutreiben: Welche Zugänge werden vulnerablen Teilen der Gesellschaft ermöglicht? Welche Be- gleitung und Unterstützung wird diesen an die Hand gegeben, um „eine Spur aufzunehmen und ihr zu folgen?“ Was ist die Institution bereit zu lernen von Menschen, die Angebote benötigen, welche über reguläre Vermittlungsformate hin- ausgehen?
Die achtjährige Lisa 1 geht voller Stolz in den Gei- genunterricht. Sie hat eine Leserechtschreib- schwäche und das Notenlesen fällt ihr enorm schwer. Die erste Lehrerin nutzt beim Unterrichten ein System von Handzeichen für die Tonhöhen, für Lisa ein hilfreicher Zugang. Die zweite hat von diesem System keine Kenntnis und kann Lisa in- folgedessen auch keine Hilfestellung geben.
Der 16jährige Samuel ist körperbehindert und hat rechtsseitig eine Spastik (erhöhte Muskelanspan- nung), vor allem wenn er sich freut. Beim Schlag- zeugspielen ist er besonders freudig erregt und daher auch besonders angespannt in der rechten Hand. Wird sich ein Lehrer oder eine Lehrerin für ihn finden?
Kim singt ganz selbstverständlich mit im Mäd- chenchor, dass sie blind ist, fällt gar nicht auf. Tim spielt selbstbewusst im Flötenensemble mit. Sei- ne Lehrerin ist ganz begeistert, wie engagiert und zuverlässig er sich einbringt. Es ist ihr erster Schü- ler mit Trisomie 21.
Inklusives Musizieren
© Hanna Karstens
 Jonas hatte in seiner Kindheit Musiktherapie an der Musikschule. Das hat seinen Selbstwert enorm gestärkt. Heute singt er semiprofessionell in mehreren Bands an der Musikschule und au- ßerhalb. Er hat hier auch Gesangsunterricht. Wie sich seine Behinderung nennt, ist eigentlich un- wichtig. Sein Bandleiter nennt ihn „die tiefste Stimme auf zwei Beinen“ und seine Freude beim Musikmachen reißt die Zuhörenden mit!
1 alle Namen geändert
Diese Aufzählung könnte endlos weiter gehen. Es gibt so viel Gelingendes im gemeinsamen Mu- sizieren an der Musikschule. Aber es gibt eben auch Schwierigkeiten, die als Ansporn für Ver- besserungen dienen können. Es ist mir in diesem Sinne wichtig, auf Lücken im System aufmerksam zu machen, im Englischen heißt dies: „mind the gap!“.
 sss 11
  
























































































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