Page 12 - Zeitschrift der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg
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Lasst uns im Plural musizieren!
  Inklusives Musizieren
© Hanna Karstens
Schimpfwort mehr auszusprechen, sobald der Raum betreten wurde. Vorher darf der Fuß nicht über die Schwelle gesetzt werden. Auf diese Wei- se wird der Raum geschützt und es entsteht ein „safe place“ für die Musik und für eine andere Form des Miteinanders, des Sich-Begegnens. Mo- nate später bringen dieselben Jungs Lieblingslie- der mit in den Unterricht, aus dem Iran und aus Deutschland. Erstaunlicherweise klingen sie ähn- licher als gedacht.
Es ist immer noch nicht selbstverständlich, dass die Tür zur Musikschule für alle Kinder und Ju- gendliche dieser Stadt offen steht. Wir müssen jeden Tag weiter daran arbeiten. Hilfreich sind aufsuchende Angebote, die zu den Kindern in deren Lebenswelt Schule kommen, aber auch Be- gegnungsräume außerhalb des alltäglich Schuli- schen, wie der oben geschilderte. In Deutschland sind auch heute noch viele Kinder mit dem Risiko ungleicher Chancen für Bildung konfrontiert: Kinder mit einer körperlichen oder geistigen Be- einträchtigung, in Armutslagen, aus Migranten- familien, mit muslimischen oder jüdischen Glau- bensanschauungen, aus Roma-Familien, mit Fluchterfahrung und Kinder von alleinerziehen- den Eltern (Sulzer, 2013). Das ist wichtig zu be- nennen und sich vor Augen zu führen, denn es beinhaltet die stete Herausforderung, dieser Benachteiligung als Institution aktiv entgegen- zuwirken. „So verstanden hat Inklusion das Po- tential, in Bildungseinrichtungen den Blick für Ausgrenzung zu schärfen – im Jargon der UN für `most vulnerable groups´“ (ebd., S. 15).
Im Leitbild des Verbandes deutscher Musikschu- len (Bundesversammlung Münster 2015) heißt es „Musikschulen öffnen die Zugänge und berei- ten die Wege zur Musik – fachlich, räumlich und sozial offen.“ Inklusion wird als „Anspruch und Aufgabe“ anerkannt. Diese Worte fordern Hand- lungen ein und nicht nur das, auch die Haltung jeder einzelnen an einer Musikschule tätigen Per- son ist herausgefordert, dieses Ziel zu verinner- lichen, von der Lehrkraft bis zum Hausmanage- ment, von der Verwaltung bis zur Leitung.
Vielleicht tragen Musik machen und hören in die- sem Sinne dazu bei, aufgeschlossener zu werden gegenüber bislang Fremden und sich Unbekanntem anzunähern? Eine Kollegin an der Musikschule schildert folgende Unterrichtssituation:
Sechs Jungs aus einer 3. Klasse kommen aus der benachbarten Schule zu ihr in den Gitarrenunter- richt. Schon auf dem kurzen Weg von einem Ge- bäude in das andere verhärten sich die Fronten und die Beschimpfungen eskalieren: Die Grenze verläuft zwischen den beiden Iranisch stämmigen Jungs und ihren vier Klassenkameraden ohne Mi- grationshintergrund. An Musizieren und Lernen ist so nicht zu denken. Die Kollegin handelt in wochenlanger Überzeugungsarbeit aus, dass je- der einzelne der Jungs ihr an der Tür zum Unter- richtsraum per Handschlag zusichert, kein
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