Page 16 - Zeitschrift der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg
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Was bedeutet „Tschüss-Stimmen“ und was ist eine „traurige Note“?
 © Hanna Karstens
Er hat in seinem jungen Leben gelernt, dass Besitz unpraktisch ist, da man nicht immer alles mitneh- men kann. Eine Ausnahme ist das Handy, so wer- den Noten von ihm abfotografiert. Da man na- türlich auch ein Handy verlieren kann, ist es am besten, alles auswendig zu können. Jetzt, nach einem Jahr, übt er alle Stücke erst einmal mental, zu Hause, im Bus oder an der Bushaltestelle. Er stellt sich motorisch die Bewegung vor, geht ans Instrument und spielt.
Arian spielt ein Stück von Anfang an sehr gefühl- voll. Vielleicht auch, weil kein Notenblatt „dazwi- schen“ steht? Ich weiß es nicht, in jedem Fall be- wundere ich seine Ausdrucksfähigkeit.
s Die 10-jährige Dunya möchte Klavier spielen lernen. Die Eltern haben sie nicht angemeldet. Sie kommt zum Unterricht, weil sie diese Entschei- dung selbst getroffen hat. Dunya kommt aus Afghanistan, sie hat 2 Jahre in einem Camp in Norwegen gelebt und sprach anfangs kein Deutsch. Da ich weder Farsi noch Norwegisch spreche, haben wir uns mit Händen und Füßen verständigt. Obwohl ich ihr ein Keyboard ausge- liehen habe, übt sie nicht zu Hause. Vielleicht ist das im kleinen Zimmer mit vier Geschwistern auch einfach zu schwierig. Das Keyboard liegt oben auf dem Schrank, damit nichts mit dem Instru- ment passiert. Dennoch kommt Dunya sehr ger- ne und fasziniert mich durch ihre schnelle Auf- fassungsgabe. Wenn sie eine Melodie mit fünf Fingern spielt, lernen wir natürlich auch, wie die einzelnen Finger der Hand im Deutschen genannt werden. Nachdem wir zusammen mit anderen Mädchen gespielt haben, übt sie die neu gelernte Melodie alleine. Im Musikraum trifft Dunya an- dere Kinder und Jugendliche, oft wird in dem gleichen Raum zu dieser Zeit noch Gitarre und Geige gespielt. Sie kann anderen zuhören, ihre Melodie mit oder ohne Kopfhörer immer wieder üben, auch etwas vorspielen oder mit älteren Kindern Farsi sprechen. Dunya weilt meistens zwei Stunden bei mir und ist oft so vertieft, dass ich sie daran erinnern muss, nach Hause zu gehen. Dort wartet das Abendessen.
s Jawid ist jetzt 19 Jahre alt. 16-jährig kam er alleine nach Schweden und dort schenkte ihm jemand eine Gitarre. Er übte oft und ausdauernd. Jetzt, nach drei Jahren, kann er schon sehr viel, er spielt und singt ausdrucksvoll und bewegend. Vor etwa einem halben Jahr lernten wir uns ken- nen. Er kommt zum Üben (Jawid lernt übrigens auch alles auswendig) und zwischendurch gebe ich ihm Tipps, wenn ich z.B. sehe, dass er seine Handhaltung verbessern könnte, wie er eine La- genwechselbewegung denken kann, wir lernen Theorie oder üben Zusammenspiel. An den glei-
  



























































































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